Bei der Lektüre von Renate Delfs und Rike Schmids Generationendialog Nimm mich mit nach Gestern bin ich von der ersten Zeile an tief in das Thema „Leben in Zeiten des Nationalsozialismus“ eingetaucht. Dabei habe ich mich den beiden Schauspielerinnen so nahe gefühlt, als hätten wir erst gestern gemeinsam am Set der TV-Serie „Aus gutem Haus“ gestanden. Inzwischen sind fünfzehn Jahre vergangen und noch heute kann ich Rikes Unsicherheit, die sie in dem Buch beschreibt, gut nachempfinden, denn auch für mich war die Arbeit als Regie-Assistentin Neuland. Ich habe Rike für ihren Mut und ihre Schönheit bewundert. Auch die Bekanntschaft mit der herzenswarmen, klugen und humorvollen Renate Delfs war sehr besonders. Man muss diese Frau einfach sofort ins Herz schließen. Unser letzter telefonischer Kontakt liegt fast drei Jahre zurück, konkreter Anlass meines Anrufs war eine Frage zum Thema schriftliche Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Ich hatte gerade mein neues Betätigungsfeld gefunden und mich als Senioren-Assistentin selbstständig gemacht und wollte ihre Meinung hören. In den letzten Zeilen von Nimm mich mit nach Gestern wiederholt sie das, was sie mir schon da sagte: „ich kann nur jedem älteren Menschen raten, sich aufzumachen und schreibend sich selbst zu begegnen.“ Aus meinem eigenen Gefühl heraus und ihrem Rat folgend, arbeite ich seither ausnahmslos Biographie gestützt mit „meinen“ Seniorinnen und Senioren.
Der Dialog, den Rike Schmid und Renate Delfs in ihrem Briefwechsel führen, erinnert mich an eigene Gespräche und Fragestellungen. Wie war das früher? Wie ist es Dir in dieser schweren Zeit während des zweiten Weltkrieges ergangen? Wie führt man ein normales Leben nach all diesen Erfahrungen? Wie vertraut man, wenn man all das erlebt hat und unbewusst schuldig geworden ist?
Das Unrecht, das während des zweiten Weltkriegs geschah reicht krakenhaft ins Jetzt und darf nicht in Vergessenheit geraten. Aus diesem Grund können wir Menschen wie Renate Delfs nur dankbar dafür sein, dass sie ihr Inneres nach Außen kehren.
Nimm mich mit nach Gestern berührt, weil wichtige Fragen so offen gestellt werden, wie sie nur in einem ganz persönlichen und vertrauten Rahmen gestellt werden können. Offensiv, aber ohne Schuldzuweisung. Bis heute begreift man nicht, wie soviel Unrecht und Leid geschehen konnte. Hat einfach nur ein Rädchen ins andere gegriffen? Renate nennt es gleichgeschaltet. Es zeigt sich, wie schwer es ist, genau zu erinnern.
In dem Briefwechsel von Renate Delfs und Rike Schmid geht es um den Versuch zu verstehen und um Verständnis, mit dem Ziel, sich selbst ein Stück näher zu kommen. Im Großen geht es wohl auch darum, dem Wesen Mensch ein Stück näher zu kommen. Auch wenn der Mensch wesenhaft nicht schlecht ist, so ist er doch beeinflussbar.
Nutzen wir die letzten Jahre, in denen wir die Chance haben, mit Zeitzeugen einen Dialog zu führen, denn nur so können wir eine Gemeinschaft erzeugen, die stark genug ist zu hinterfragen und sich aufzulehnen.
In der NDR Talkshow sagte Rike Schmid: „Ich wünsche mir, dass das Buch eine Gesprächseinladung ist.“ Das wünsche ich mir auch. Danke Renate, danke Rike, für diesen wundervollen Dialog, der mich Euch beiden nicht nur für einen Moment so nahe gebracht hat.
Nimm mich mit nach Gestern ist 2015 im Herbig Verlag erschienen.